24. März 2020
Wer bin ich? Zu sich selbst kommen!
Um Entscheidungen treffen zu können, gilt es zuerst sich selbst kennenzulernen. Nur wenn ich mich selbst kenne, meine Stärken und Schwächen anerkenne und meiner inneren Regungen wie Ängsten, Freuden, Abneigungen, Vorlieben etc. bewusst werde, kann ich zu einem Verständnis gelangen, was mich in meinem Leben geprägt hat und wo ich stehe. Es ist ein erster Schritt zu sich selbst zu kommen. Hierzu schlage ich für diese Woche Übungen zur Schärfung der eigenen Wahrnehmung vor. Es wäre gut die Übungen nach Möglichkeit in der kommenden Woche täglich zu einer selbst festgesetzten Uhrzeit zu machen, so dass sich eine kleine Routine entwickeln kann. Hierzu kann es hilfreich sein sich eine solche Zeit im Terminkalender einzutragen.
Des Weiteren möchte ich zur Reflexion über die Woche hinweg ein Gedicht von Paul Roth mit dem Titel „Ja oder Nein“ an die Hand geben. Ich lade dazu ein, diesen Text in der kommenden Woche täglich zu lesen.
1. Übungen um die eigene Wahrnehmung zu schärfen
In der Psychologie wird diese Übung auch eingesetzt, um zu einer besseren Fokussierung zu gelangen, die Konzentrationsfähigkeit zu steigern und aus Gedankenkarussellen auszusteigen; bei regelmäßigem Wiederholen der Übung treten entsprechende positive Effekte bereits nach einigen Wochen ein.
Für uns geht es aber zunächst einmal darum einen Zugang zu sich selbst zu finden und sich selbst kennen zu lernen. Das nachfolgende Übungsbeispiel dient als Orientierung und kann adaptiert werden auf die eigene Situation. Falls jemand Schwierigkeiten hat zu beten, kann das Gebet zu Beginn und am Ende der Übung auch weggelassen werden. Die Dauer der Übung sollte wenigstens 15 Minuten sein. Solltest du bereits früher an das Ende der Übung kommen, so beginne einfach von vorne.
Vorbereitung:
Suche Dir einen guten Platz auf einem Stuhl oder Hocker, so dass Du aufrecht sitzen kannst und beide Fußsohlen auf dem Boden stehen. Schließe dann die Augen oder suche Dir einen Punkt in Augenhöhe, auf dem der Blick ruhen kann.
Es ist wichtig die eigene Wahrnehmung auf die genannten Körperteile auszurichten und dann versuchsweise in den Körper zu spüren! Wenn Gedanken oder Bilder kommen, so nimm sie wahr, lege sie in Gedanken beiseite und kehre zurück zu Deinem Körper.
Gebet:
„Herr, ich trete vor Dich hin mit meinem ganzen Leib, mit meinem Geist und mit der Kraft meines Herzens. Schenke mir die Gnade mein Leben meine Absichten, mein Denken, mein Tun alles auf Dich ausrichten zu können! Sei Du nun anwesend und hilf mir zu erkennen, was in mir los ist…“
Übung:
- Atme zunächst ruhig ein und aus, ohne die Atemgeschwindigkeit zu verändern. Spüre wie die Luft ein und ausströmt. Wenn ein Gedanke kommt – so betrachte ihn, lege ihn beiseite und kehre zurück zur Atmung.
- Richte Deine Aufmerksamkeit zum Gesäß und erspüre den Kontakt, der sich durch das Sitzen auf dem Stuhl ergibt.
- Gehe in Gedanken zunächst zum Gesäß und versuche es wahrzunehmen. Nun gehe weiter zu Deinem rechten Oberschenkel, nimm ihn wahr und verweile dabei. Nun versuche den Unterschenkel zu spüren – mit der Wade und dem Schienbein. Lenke Deine Aufmerksamkeit nun auf den rechten Fuß, die Zehen, die Fußsohle, etc..
- Nun wandere mit Deiner Aufmerksamkeit langsam wieder zurück zum Gesäß und versuche alle Körperteile wahrzunehmen. Wenn Du am Gesäß angekommen bist, wanderst Du in vergleichbarer Weise mit Deiner Aufmerksamkeit durch das linke Bein.
- Wieder zurück am Gesäß, versuchst Du das Becken zu spüren und mit Deiner Aufmerksamkeit langsam den Rücken hinauf zur Schulter zu wandern. Gehe dann wieder zurück zum Gesäß und lenke die Aufmerksamkeit zunächst auf den Bauch und schließlich auf die Brust.
- Dann nimm die rechte Schulter wahr – und wandere mit der Aufmerksamkeit zum rechten Arm bis vor zu den Fingerspitzen.
- Wenn Du dort angekommen bist, wandere zurück zur Schulter und gehe hinüber zur linken Schulter und lenke die Aufmerksamkeit hin zum linken Arm bis hin zu den Fingerspitzen.
- Nimm nun auch den Hals, das Gesicht mit Nase, Mund, Augen, Ohren und Stirn wahr. Wandere den Hinterkopf hinauf zu den Haaren und nimm diese vollständig wahr.
- Nimm Dich jetzt im Ganzen nochmals kurz wahr.
- Wie bist Du da? Bist Du angespannt oder entspannt, welche Gefühle sind in Dir gegenwärtig? Wie ist Deine Stimmung? Was herrscht in Dir? Wut oder Fröhlichkeit, Hass oder Liebe, Angst oder Mut, Frustration oder Freude, etc. alles hat Platz!
Schluss:
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen
Am Ende der Übung kann es hilfreich sein im Tagebuch einige Notizen zu machen und Elemente der Erfahrung festzuhalten.
Alternativen bzw. Variationen zur dargestellten Körperwahrnehmungsübung:
Nimm Dir bewusst Auszeiten, während denen Du versuchst in die Wahrnehmung zu gehen. Dies kann z. B. auch bei einem Spaziergang geschehen. Bei einem solchen kannst du zum Beispiel auf Deinen Atem achten, wie er ein und ausströmt und bewusst die Luft riechen. Du kannst die Sonnenstrahlung oder die Kälte wahrnehmen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin Pflanzen zu berühren und an ihnen zu riechen. Oder Du achtest ganz bewusst auf alles, was in Dir vorhanden ist: Deine Gefühle und Deine Stimmung – was herrscht vor Wut oder Fröhlichkeit, Hass oder Liebe, Angst oder Mut, Frustration oder Freude, etc.
Schreibübung
Du nimmst Dir 15 Minuten Zeit aufzuschreiben, was Dir gerade in den Sinn kommt. Die Gedanken müssen hierbei nicht sofort sortiert werden. Die Erfahrung ist, dass Du in diesen Momenten auf eine tiefere Ebene stößt und beispielsweise eine innere Zerrissenheit oder tieferliegende Emotionen wahrnimmst.
Eventuell könnte es in einem weiteren Schritt auch hilfreich sein die eigenen Gedanken und Wahrnehmungen zu sortieren und in einem fiktiven Brief an eine andere Person zu verfassen.
2. Gedicht zur Meditation
Lese das folgende Gedicht ganz langsam und nach Möglichkeit täglich. Lass es auf Dich wirken. Wenn Du diesen Text liest, was löst er in Dir aus? Welche Emotionen werden hervorgerufen? An welcher Stelle bleibst Du hängen und warum? Es kann hilfreich sein Notizen im Anschluss einige Notizen zu machen.
Ja oder Nein von Paul Roth
Du kannst dir nicht ein Leben lang
alle Türen offen halten,
um keine Chance zu verpassen.
Auch wer durch keine Türe geht
und keinen Schritt nach vorne tut,
dem fallen Jahr für Jahr
die Türen eine nach der anderen zu.
Wer selber leben will, der muss entscheiden:
Ja oder Nein — Im Großen und im Kleinen.
Wer sich entscheidet, wertet, wählt,
und das bedeutet auch Verzicht.
Denn jede Tür, durch die er geht,
verschließt ihm viele andere.
Man darf nicht mogeln und so tun,
als könne man beweisen,
was hinter jener Tür geschehen wird.
Ein jedes JA — auch überdacht, geprüft ist
zugleich Wagnis und verlangt ein Ziel.
Das aber ist die erste aller Fragen:
Wie heißt das Ziel,
an dem ich messe Ja und Nein?
Und: Wofür will ich leben?
Wenn Du Fragen zu den Übungen hast oder gerne über den einen oder anderen Eindruck reden möchtest, so melde Dich am besten per mail: kollegsseelsorger [at] aloisiuskolleg [dot] de