Aloisiuskolleg
Gymnasium der Jesuiten für Mädchen und Jungen

Dr. Jekyll und Mr. Hyde – Schultheater am Aloisiuskolleg

Der Fünftklässler neben mir, der eben noch bevor es dunkel wurde den Lässigen mimte, rückte im Verlauf des Stückes auffällig näher schutzsuchend an seiner Mutter heran. Denn was hier siebzehn  Schauspielerinnen und Schauspieler mit einfachsten Mitteln auf die Bühne brachten, ging unter die Haut. Die in weiten Teilen mit Blick auf das Casting um weitere Rollen erweiterte und neu interpretierte Geschichte um einen Londoner Arzt, Dr. Jekyll, der die Droge gefunden hat, das Gute im Menschen vom Bösen zu trennen, wird geradeheraus erzählt und lässt nichts von dem Schrecken aus, den Mr. Hyde unter den Prostituierten in Soho verbreitet. Ein Monster geht um und Henry verleiht ihm mit einer genial dezenten Maske (Adriana, Sophia) geschminkt eine wahrhaft einschüchternde Präsenz. Nicht nur den 5.-Klässlern schaudert.

Es beginnt im Londoner Nebel. Straßenmädchen warten auf Kundschaft, doch der eine, der kommt, bringt ihnen nur Verderben. Mit Säure verätzt er das Gesicht von Peggy (Metab), die sich ob dieser Entstellung später in den Tod stürzen wird. Ihre Kolleginnen Mary und Melly (Leonie und Kelly) bleiben voll Schrecken zurück. Sie, wie auch die beiden Drogen dealenden Straßenmädchen Angel und Nancy (Elisabeth und Johanna) spielen ihre Rollen mit einer solchen Souveränität, dass es ihren im Publikum anwesenden Eltern Anlass zu großer Sorge gab.

Als Dr. Henry Jekyll betritt dann Victor die Bühne. Diese Figur wurde für die Bühnenfassung am AKO neu und auf die Gegenwart bezogen interpretiert.  In der Erzählung von Robert L. Stevenson von 1886 bleibt es der Phantasie der Leser im viktorianischen England überlassen, sich auszumalen, um welcher lasterhaften Vergnügungen willen Dr. Jekyll sich eine zweite Identität zulegt; er selbst bleibt der charmante, ehrenwerte Mediziner. Nur sein Alter Ego Mr. Hyde wird mehr und mehr zum Monster, das sich nicht mehr zähmen lässt.
Hier aber ist nicht nur Hyde das Monster. Denn Dr. Jekyll sucht die Freiheit  der zweiten Persönlichkeit nicht um der Vergnügungen willen, sondern um seinem Hass freien Lauf zu lassen. Immer wieder bricht aus dem Wissenschaftler die hate speech heraus. Er hasst und verachtet die Prostituierten, weil er ihrer Verführungskunst die Schuld daran gibt, dass der eigene Vater seine Ehe ruiniert hatte. Diese, im Stück nur angedeutete Motivation macht deutlich, dass wieder einmal der Hass daraus rührt, dass Jekyll damit sein Vaterbild unbefleckt sehen möchte; es waren mal wieder immer die anderen, die Fremden, la femme.

Louisa als Jekylls Verlobte tut sich entsprechend schwer, die Hochzeitspläne aufrecht zu erhalten, da der einst Geliebte mehr und mehr seine Abgründe offenbart. Und auch die ältesten Freunde des Doktors  (in tragenden Rollen Jwan und Clara) ahnen mehr und mehr, dass das Monster nicht Hyde, sondern Jekyll ist. Für den Londoner Bürgermeister (Julius) lässt sich das alles angesichts einer großzügigen Spende unter den Tisch kehren; die Leiterin des begünstigten Frauenhauses (Johanna) ist da etwas kritischer.  In weiteren Rollen waren Oscar als Arzt-Kollege und Paul als Barkeeper zu sehen. Aber es war vor allem Ulrike, Laborassistentin von Prof. Jekyll, die durch ein beeindruckend doppelbödiges Spiel dem Stück einen letzten Dreh zu geben vermag – denn am Ende stellt sich heraus, dass der Schrecken mit dem verzweifelten Selbstmord von Jekyll/Hyde nicht zu Ende geht, sondern eine Frau (mit Alina als versteckter Identität) ebenso monströs zu sein vermag.

Erstmals am Start war auch das Technik-Team (Daniel [EF], Aaron [5d!], Zsolt [7c], Felix [8d]und Emil [8c]), das den starken Soundtrack und das suggestive Licht verantworteten, als hätten sie noch nie etwas anders gemacht als Theatertechnik! Alle hoffen nun, dass diesem Team ebenso wie den Regisseuren Marcel Höfs und Zeynel Öngören, die auch das Stück in weiten Teilen neu entwickelt und geschrieben haben, noch eine lange Theaterkarriere beschieden ist! Bühne und Kulisse verdankten sich wiederum Oliver Braun und Andreas Pönisch. Sie alle sind höchst würdige  Erben der AKO-Theater-Tradition. Danke für den großartigen Abend.