Aloisiuskolleg
Gymnasium der Jesuiten für Mädchen und Jungen

Thomas Melle bei Reclam "Theater der Gegenwart"

Noch mehr als der Bericht von Frau Prof. Zinsmeister von 2011 hat 2016 ein Theaterstück des Altschülers Thomas Melle deutlich gemacht, dass Missbrauch keine Vergangenheit ist, sondern Gewalt, die bis in die Gegenwart der Überlebenden hineinragt und mit deren schwerwiegenden Folgen sie bis heute leben. Das Stück „Bilder von uns“ ist jetzt vom Reclam-Verlag in die Reihe „Theater der Gegenwart“ aufgenommen worden, nachdem es auf mehreren deutschsprachigen Bühnen und in einer Hörspielfassung im Deutschlandradio bereits einem großen Publikum bekannt geworden war.

Die vor allem in den 1980er Jahren von Theo Schneider und Ludger Stüper als Redaktion im Jahrbuch des AKO veröffentlichten Bilder von schlafenden und dürftig bekleideten, zur Pose gezwungenen Jungen zeigen ganz deutlich den übergriffigen, die Persönlichkeitsrechte und Intimsphäre verletzenden Charakter der „Bilder von uns“. Das Befremden vieler in den 1980er Jahren wurde erst in den 2000er Jahren und endgültig 2010 zu dem zweifelsfreien Wissen, dass der Erzieher und Jesuit Stüper neben den im Jahrbuch veröffentlichten Bildern Kinder auch zu Nacktbildern gezwungen hatte und dies dem verantwortlichen Internatsleiter P. Schneider bekannt war. Das Verdienst von Melle ist, dass er allen Versuchen, diese Bilder zu verharmlosen, mit den Mitteln der Literatur die fortdauernde Gewalt schildert, durch die sich Gewalterfahrung in der Kindheit im Leben der Erwachsenen fortsetzt.

Das Stück ist für das heutige Kolleg eine Möglichkeit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und dem, was nach 2010 und zuletzt 2018/2019 als Präventionskonzept für das AKO erarbeitet wurde, eine Dringlichkeit zu geben, dass solche Bilder eben nicht nur Bilder sind, sondern Gewalt mit verheerenden Folgen für die Betroffenen. In Zeiten der schnellen Verfügbarkeit von Bildern im Internet und der Gefahr von Sexting unter Schüler(innen) ist dieses Theaterstück von zusätzlichem hochaktuellem Wert.

Martin Löwenstein SJ


In seinem Rundbrief an die Altschülerinnen, Altschüler und Freunde des Aloisiuskollegs berichtete der damalige Rektor des AKO P.Johannes Siebner SJ: „Am 11.02.2016 besuchten die Internatsschüler der Jahrgangsstufe EF auf eigenen Wunsch im Schauspiel Bonn eine Aufführung von „Bilder von uns“. Den sachlichen und geschichtlichen Hintergrund für dieses von einem früheren Schüler – Thomas Melle – geschriebene Stück bilden die Missbrauchsvorfälle aus der (jüngeren) Vergangenheit des AKO. Allerdings handelt es sich bei dem Werk keineswegs um eine grobschlächtige oder oberflächliche ‚Abrechnung‘ mit unserem Kolleg. Vielmehr zeigt es sehr differenziert, wie unterschiedlich Opfer auf das erfahrene Leid reagieren können. Insgesamt war die Reaktion der Internatsschüler auf die Aufführung ausgesprochen positiv.

Im Nachwort zu dem Reclam-Band schreibt Carlo Brune: „Und doch kann schon dem Titel des Stücks, «Bilder von uns«, entnommen werden, dass Melle die Ungeheuerlichkeit der Missbrauchsfälle in dramatische Bilder wandelt und so in ein literarisches Experiment überführt. Hierin wird gerade nicht versucht, das Unbegreifliche in einem aufklärerischen Sinne doch noch verständlich zu machen; es wird nicht psychologisch »aufgearbeitet«, sondern kommt als ein buchstäblich inszeniertes Geschehen so zur Darstellung, dass es aus unterschiedlichen Perspektiven reflektiert werden kann. Melle hat, bei allen mehr oder minder rasch zu decouvrierenden Bezügen zum Missbrauchsskandal am Bonner Aloisiuskolleg, ganz anderes und viel mehr als Schlüsselliteratur verfasst, spiegelt das Drama doch Authentizität und Inszenierung, Fakt und Fiktion so ineinander, dass das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann.